Boxen und Pilates – für mich waren das immer zwei Welten, die nichts miteinander zu tun hatten. Bis ich anfing mich näher mit dem Leben von Joseph Pilates zu befassen, und feststellte, dass das Boxen seine große Leidenschaft war.
Das Boxen zieht sich wie ein roter Faden durch Pilates‘ Leben. Er lernte es von seinem Vater, einem begeisterten Turner, für den das Boxen genau wie die Übungen an Geräten zum Turnen dazugehörte. Das war nicht selbstverständlich, denn im Preußen des späten 19. Jahrhunderts galt Boxen allgemein als roher Sport, als typisch englisch und damit unpatriotisch, öffentliche Boxveranstaltungen waren verboten.
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war Joseph Pilates in England. Wie alle deutschen Männer wurde er wenige Monate nach Kriegsbeginn als „feindlicher Ausländer“ interniert. Am 12. September 1915 wurde er aus einem Lager in Lancaster auf die Isle of Man überführt, ins Internierungslager Knockaloe. Unter den Internierten – über 20 000 Männer aus Deutschland, Österreich und der Türkei – waren viele Boxer. Erfahrene Männer wie der Stuttgarter Toni Abele, der in England als Profi geboxt hatte, und junge Talente wie der spätere deutsche Meister im Schwergewicht, Hans Breitensträter. Das Training konnte beginnen!
Joseph Pilates wurde schnell zu einem wichtigen Teil der Boxergemeinschaft von Knockaloe. In der Knockaloe Lager Zeitung vom 25. Januar 1917 gibt es sogar einen Bericht über einen Kampf, in dem Joseph Pilates Ringrichter war. Und die Box-Sport schreibt am 15. Dezember 1920 über ihn: „Josef Pilates, allen in England interniert gewesenen Boxern und Sportsleuten wohl noch bestens bekannt…“
Wie intensiv und hochklassig das Training war, das die Boxer in Knockaloe organisierten, zeigte sich in den zwanziger Jahren. Zurückgekehrt aus der Internierung läuteten die Boxer aus Knockaloe das erste goldene Zeitalter des Boxsports in Deutschland ein und dominierten über Jahre die Boxszene. Hans Breitensträter, der Meister im Schwergewicht, war der schillerndste Repräsentant dieser Gruppe. Joseph Pilates mischte ebenfalls mit, wenn auch nicht auf der höchsten Profiebene: Er eröffnete eine Boxschule in Gelsenkirchen und stieg selbst in den Ring. 1922 berichtete die Box-Sport über mehrere Profikämpfe von Joseph Pilates. Dieser Bericht über einen Kampf gegen den ehemaligen deutschen Meister im Mittelgewicht, Fritz Dubois, der ebenfalls in Knockaloe interniert war, vom 5. März 1922 im Zentral-Theater in Gelsenkirchen ist so ausführlich, dass man sich fühlt, als wäre man dabei gewesen:
Als Joseph Pilates 1923 nach Hamburg zog, machte er zwar seine Boxschule zu und beendete seine aktive Boxerkarriere, das Boxen spielte aber nach wie vor eine wichtige Rolle in seinem Leben. Er unterrichtete Polizisten der Hamburger Ordnungspolizei in Selbstverteidigung, konkret bedeutete das damals: Boxen und Jiu Jitsu. Und er sah sich die hochklassigen Profikämpfe an, die der Promoter Walter Rotenburg in Hamburg veranstaltete. So lernte Joseph Pilates Nat Fleischer kennen, den Boxjournalisten aus New York, der das Ring Magazine gegründet hatte. Nat Fleischer war auf der Suche nach einem möglichen Herausforderer für den Schwergewichtschampion Jack Dempsey. Joseph Pilates wurde fündig: Er wies Nat Fleischer auf den talentierten jungen Boxer Max Schmeling hin. Und Fleischer zögerte nicht lange. Er holte Schmeling in die USA und half ihm, dort ins Geschäft zu kommen.
Joseph Pilates selbst war schon vor Schmeling in New York. Er wanderte im April 1926 in die USA aus. Nat Fleischer unterstützte ihn bei der Wohnungssuche und bei seinem Einbürgerungsantrag. Außerdem vermittelte er ihm Klienten – und so kam es, dass zu den ersten Klienten, die das Studio besuchten, das Joe Pilates in der New Yorker 8th Avenue einrichtete, viele Boxer gehörten. So gelangte 1932 Charlie Massera in Joe’s Studio: ein junger vielversprechender Schwergewichtler aus Pennsylvania. Der Daily Republican aus Monongahela, Pennsylvania, schrieb am 9. Februar 1934 über das Training, das Massera im Pilates-Studio erhielt: „Innerhalb von drei Monaten härtete Massera seine Muskeln in einem solchen Ausmaß ab, dass er einen massiven Faustschlag von Jack Dempsey in den Bauch einstecken könnte ohne zusammenzuzucken.“
Boxen und Pilates passen offenbar recht gut zusammen!
(Geändert am 14.7.2015)
Herzlichen Dank an die Redaktion der Box-Sport dafür, dass ich den Artikel verwenden durfte: www.boxsport.de
Historische Fotos und weitere Infos zu den einzelnen Boxern von Knockaloe gibt es im i-museum des Manx Museums von der Isle of Man: http://www.imuseum.im/FamilyHistory/QuickSearch.mth?quicksearchstatus=closed&quicksearchtext=boxing
Zum Internierungslager Knockaloe empfehle ich die Website des Vereins „Knockaloe and Patrick Visitors Centre“: http://knockaloe.im/